Kultur und Kunst haben in Österreich einen überdurchschnittlich hohen Stellenwert. Diesen Stellenwert gilt es zu erhalten, auszubauen und für die Zukunft zu sichern. [...]
Zu diesem Zweck werden die nachstehenden Maßnahmen in Aussicht genommen [...]: Schwerpunktprogramm für den Österreichischen Film durch effizienteren Einsatz der Fördermitteln [sic!] und bessere Kooperation zwischen Bund, Ländern und ORF. Ausbau des Filmstandortes Österreich; Bereitstellung von Risikokapital. Koordinierung zwischen dem Wirtschaftsministerium und dem für Filmförderung zuständigen Ministerium.
Aus dem Regierungsprogramm der ÖVP/FPÖ-Koalition, 2000
Nicht der ist ein Verlierer, der hinfällt, sondern der, der liegen bleibt.
Anonym
Präambel
Wahr ist: Zwischen 1999 und 2002 fuhr der österreichische Film – und es war nicht der Kabarettfilm – eine Reihe von Auszeichnungen bei renommierten internationalen Festivals ein – die Palette reicht von Der Überfall und Nordrand über die Die Klavierspielerin und Hundstage bis hin zu Mein Russland; im dokumentarischen Bereich waren – unter anderen – Nikolaus Geyrhalters Filme Pripyat und Elsewhere enorm erfolgreich. Diese internationalen Erfolge sind – neben der Qualität der Filme, selbstredend – auch Resultat der geschickten und hartnäckigen Tätigkeit der Austrian Film Commission und ihres Geschäftsführers Martin Schweighofer. Wer weiß, wie viel politisches Kalkül, wie viel Gemauschel, Taktieren, Quotendenken und sonstige Kriterien, die mit der Qualität eines Films nichts zu tun haben, im Spiel sind, wenn es um die Erstellung der Festivalprogramme in Cannes, Berlin, Rotterdam und Venedig (und anderswo) geht, kann diese Arbeit würdigen.
Wahr ist, dass diese österreichischen Filme in den heimischen Kinos sehr beachtliche Zuschauerzahlen erreichten. Besonders Michael Hanekes Klavierspielerin und Ulrich Seidls Hundstage, zwei so genannte „schwierige Filme”, wurden jeweils von etwa 100.000 Menschen gesehen. Wahr ist auch, dass daraufhin allerorten das Gerücht aufgebracht wurde, es gebe so etwas wie ein „österreichisches Filmwunder”, eine „Trademark Austrian Film”.
Wie das Land in kollektive Verzückung verfällt, wenn ein Ausnahmekönner Tischtennisweltmeister oder eine Ausnahmekönnerin Schwimmeuropameisterin wird, so befiel eine erstaunliche Anzahl von Menschen (darunter natürlich Lokal- und Bundespolitiker) eine gewaltige Euphorie. Selbst die Kronen-Zeitung widmete dem Großen Jurypreis für Ulrich Seidl in Venedig eine Seite, ohne sich groß daran zu stoßen, dass darin ein Mann mit einer Kerze im Arsch die österreichische Bundeshymne grölt. Aber auch das Ausland wurde angesteckt, die Zahl der Festivaleinladungen erreichte astronomische Höhen: Man wollte die Österreicher und Österreicherinnen auf der Leinwand leiden sehen, das aber auf höchstem Niveau. Seidls und Hanekes eher düstere Gesellschaftsentwürfe, aber auch Jessica Hausners Lovely Rita, galten plötzlich, nicht zu Unrecht, als das Nonplusultra modernen Filmemachens. Siehe da, scheinbar mühelos, schien das Jahre lang praktizierte Zelebrieren skurrilen Österreichertums überwunden – zugunsten einer international verständlichen und kraftvollen Darstellung individueller und gesellschaftlicher Zustände. Diese Einzelleistungen fanden sich in der illustren Gesellschaft von präzisen, universell gültigen Momentaufnahmen wie Jean-Pierre und Luc Dardennes Rosetta, Alejandro González Iñárritus Amores perros oder Edward Yangs Yi Yi wieder.
Katzenjammer
Heute, Anfang des Jahres 2004, sind die Töne nüchterner geworden, kann die „Trademark Austrian Film” nicht länger über die nach wie vor existierenden strukturellen Mängel in der heimischen Filmlandschaft hinwegtäuschen. Die Aufbruchsstimmung, die zum Teil auch Resultat einer politischen Willensbekundung (wie der Ausschüttung von Sonderbudgets 1998 und 1999) gewesen sein mag, ist – spätestens seit dem Regierungswechsel im Februar 2000 – verflogen, und es regiert der Alltag: eine kleinteilige, eigenkapitalschwache Produktionslandschaft; nach wie vor keinerlei steuerliche Anreize für private Investoren; eine dramatisch verschlechterte soziale Situation vieler Filmschaffender; ein Rückgang des Auftragsvolumens von Seiten des ORF; eine bis zum Stillstand verknöcherte Vertriebs- und Verleihszene; ein stetiger Rückgang filmischer Vielfalt in den Kinos und – wie im Jahr 2003 – katastrophale Zuschauerzahlen für den österreichischen Film.
Das gefürchtete Wellental, das bloß zyklische Auftauchen herausragender Filme, hat die Branche 2003 voll erwischt. Der Topseller an den Kinokassen war Peter Payers Ravioli mit immerhin knapp 47.000 Besuchern, gefolgt vom biederen Star-Vehikel Am anderen Ende der Brücke von Hu Mei (interessant immerhin wegen seiner Entstehungsgeschichte als erste Koproduktion zwischen der Volksrepublik China und Österreich) mit rund 29.000 Besuchern; über die restlichen Zahlen, darunter auch jene für Barbara Alberts ambitionierte zweite Regiearbeit Böse Zellen, breitet man besser den Mantel des Schweigens. MA 2412 – Die Staatsdiener, am 25. Dezember 2003 gestartet, wird dieses Fiasko behübschen, aber nicht darüber hinwegtäuschen können. Dass sich im Zuge der Festival-Erfolge Seidls und Hanekes eine Reihe von Filmen in ähnlicher Tonart und Filmsprache versuchten, zeigt zwar die Attraktivität der „Trademark Austrian Film”, die Wirkung dieser Nachempfindungen war jedoch beschränkt: Formal führten sie zu keiner Weiterentwicklung, die Zuschauerzahlen blieben bescheiden. Ähnliches widerfuhr dem Dokumentarfilm, der, sieht man von den episch und mit einem globalen Anspruch angelegten Arbeiten Nikolaus Geyrhalters oder Michael Glawoggers ab, einen schweren Stand in den österreichischen Kinos hat. Die Sinnhaftigkeit eines Kinoeinsatzes muss man in den meisten Fällen in Frage stellen. Ohne Zweifel geht die Krise vom Drehbuch-Bereich aus, und man fragt sich immer wieder, warum „große”, relevante österreichische Stoffe aus der Zeitgeschichte nicht, oder wenn doch, in lauwarmen Fernsehfilmen angepackt werden. Und: Es gibt zu wenige „professionelle” DrehbuchschreiberInnen, die kontinuierlich arbeiten können.
Marktschreier
Dem Phantom des „österreichischen Filmwunders” scheint auch Kunststaatssekretär Franz Morak, ein bekennender „Mann der Videokassette”, begegnet zu sein. Während die Welt die Regierungsumbildung und das österreichische Autorenkino entdeckte, setzte Morak unverdrossen – darin seinem Ex-Schauspielkollegen Herbert Fux nicht unähnlich – auf den so genannten „kommerziell verwertbaren” Film, ohne jedoch die entsprechenden Grundlagen zu schaffen. Bis heute gibt es keinen Ansatz, einen österreichischen Film oder eine internationale Koproduktion herzustellen, der über die traditionellen staatlichen oder regionalen Fördertöpfe hinausreicht. Während Morak sich noch bemühte, die Banken von der Attraktivität von Medienfonds zu überzeugen, brachen diese in Deutschland schon reihenweise in sich zusammen. Auch ein Steuermodell, wie höchst erfolgreich in Luxemburg praktiziert, liegt immer noch in den Schubladen. Was man Morak am meisten ankreiden muss, ist, dass er eine eben erst selbstbewusster werdende Branche mit seinem Mix aus rätselhaften Ansagen und bleiernem Schweigen – das Schüsselsche Kommunikationsmodell – zutiefst verunsicherte.
Moraks Pläne für die von ihm mutwillig neu geschaffene Diagonale entsprachen seinen Verheißungen eines kommerziell verwertbaren Filmschaffens, führten bis zum „Film-Basar” (welch gelungene Wortschöpfung für ein mit „Balkan-Filmen” angereichertes Festival!): Ausrichtung am deutschen Markt (auf dem schon deutsche Filme kaum reüssieren), Produkte statt Projekte, Käuferschicht statt Publikum, quotenkompatibler Fernsehfilm, „Fördereffizienz”. Vielleicht ist aber das Scheitern des dilettantischen Konzepts (fehl platzierte Projektbörse, überdimensionierte Preisgelder, fragwürdige regionale Verankerung, Aufwertung zum A-Festival, Finanzierung durch Referenzgelder) eine vergebene Chance, weil letztlich als konkreter Handlungsversuch ein kulturpolitisch motivierter Anschlag auf eine nationale Institution übrig blieb. Der Grazer Schau hätten externe Impulse durch eine organische Auseinandersetzung mit anderen Filmszenen möglicherweise durchaus gut getan, um der bisweilen wild um sich greifenden Lagerfeuerromantik von allzu gleich Gesinnten etwas entgegenzusetzen. Notorisch zahnlose Diskussionen und die ständige Absicherung des Konsenses via Feindbild am Ballhausplatz führen nicht zwangsläufig zu neuen Erkenntnissen.
Der Marketplace Graz – samt wilden Fantasien von Flugzeugladungen ausländischer Executives, die einander auf dem Film-Basar die Videokassetten aus den Händen reißen – kam Morak nach der Flucht seiner Intendanten abhanden; über eine zweite geniale Erfindung des Morak-Büros freuen sich zumindest Österreichs Produzenten. Der mit 7,5 Millionen Euro dotierte Fernsehfilmfonds, der im Jänner 2004 in Kraft getreten ist, soll die Produktion von TV-Dokumentationen, -serien und -filmen wie Andreas Hofer 1809 – Die Freiheit des Adlers oder Medicopter 117 anregen. Morak will damit „unabhängige Produzenten” – was immer damit gemeint sein soll – stärken, neue Anreize für Fernsehanstalten vor allem im deutschsprachigen Raum bieten sowie die Koproduktionstätigkeit erhöhen. Mit der Verwaltung der Gelder ist die RTR-GmbH beauftragt, die der KommAustria (die den Rundfunk reguliert und neuerdings auch die Presseförderung und die Publizistikförderung des Bundes vergibt) assistiert. Die Gelder werden durch die RTR-Geschäftsführung vergeben; eine fünfköpfige Fachjury berät nach ausschließlich kommerziellen Kriterien. Der Fonds soll dazu dienen, den Medienstandort Österreich attraktiver machen.
Der Verdacht, hier werde dem ORF ein bisschen unter die Arme gegriffen, ist vermutlich ebenso hässlich wie der, der Fonds begünstige indirekt die Entstehung einer Zweiklassengesellschaft von Produzenten. Während die einen vom Fernsehen mit Aufträgen versorgt werden und sich nicht um die Verwertung der Projekte zu sorgen brauchen, müssen die anderen vor allem Initiative zeigen. Dass ausschließlich Eigeninitiative eine schlechte wirtschaftliche Basis ist, ist kein österreichisches Phänomen, sondern ein europäisches.
Allerdings ist dem Medienstandort Österreich Besserung durchaus zu wünschen. Längst sind die Standortnachteile gegenüber den östlichen Nachbarn und gegenüber Bulgarien und Rumänien so gravierend geworden, dass sie nicht mehr aufholbar sind. Was nützen alle schönen Landschaften und städtebaulichen Juwelen, wenn die hohen Kosten, auf die es nun einmal ankommt, eine Produktion in Österreich praktisch verunmöglichen? Sieht man von einigen Bollywood-Produktionen, die Tirol der noch teureren Schweiz vorziehen, und von einzelnen Projekten ab, die in Wien realisiert werden, weil sie nur in Wien realisiert werden können, ist Österreich als internationaler Filmschauplatz nicht mehr gefragt. Auch der (mögliche) Vorsprung im Know-how, die soziale Sicherheit und die wirtschaftliche Stabilität des Landes können da nichts retten.
Fördertöpfe
In letzter Zeit ist, kein Wunder, eine verstärkte Hinwendung zur Zusammenarbeit mit den neuen EU-Ländern im Osten zu bemerken. Produzenten wie Franz Novotny, der Dokumentarfilmer Nikolaus Geyrhalter, die Dor-Film und die Allegro scheinen die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Nicht nur die viel zitierte historische Verbundenheit, auch die aktuelle Situation, in der die Augen Europas mit Spannung auf diese „neue Hälfte” des Kontinents gerichtet sind, scheint die filmische Auseinandersetzung mit Ländern wie Slowenien, Tschechien oder Ungarn geradezu zu fordern. Und Österreich, das sich bekanntlich rühmt, dem „Erdteil inmitten” zu liegen, täte gut daran, diese zentrale Brückenfunktion zu erkennen und wahrzunehmen.
Eine Schlüsselrolle kommt, nicht nur wegen der geografischen Position, dem Filmfonds Wien, der größten und am höchsten budgetierten (derzeit rund 8 Millionen € pro Jahr) Regionalförderung, zu. Der Fonds, 1992 als Wiener Filmfinanzierungsfonds gegründet, wurde 1999 einer umfassenden Reform unterzogen. Maßgebliches Kriterium für die Förderung von Projekten ist – im Unterschied zu früher – die Bedeutung eines Projekts für die kulturelle Entwicklung und filmwirtschaftliche Wertschöpfung am Standort Wien: Der so genannte „Filmbrancheneffekt” hat den „Wieneffekt”, der vornehmlich touristischen Nutzen für die Hauptstadt einforderte, abgelöst. Im Unterschied dazu legen die meisten anderen regionalen Förderinstitutionen, die in den letzten Jahren u. a. in Tirol, Kärnten, Salzburg und Niederösterreich eingerichtet wurden, nach wie vor Wert auf die touristische Verwertbarkeit von Filmprojekten. Das Problem ist, dass diese Regionalförderungen mit höchst unterschiedlichen Anforderungen an die Antragsteller arbeiten; von einer Harmonisierung auf diesem Gebiet scheint man weit entfernt zu sein.
Verglichen mit den übrigen nationalen Filmförderungen in der EU war Österreich nach der Streichung der Sonderbudgets im Jahr 2000 Schlusslicht. Nicht dass sich ein kausaler Zusammenhang zwischen verfügbaren Fördergeldern und dem filmischen Output behaupten ließe, auf die Stimmung in der Filmbranche schlugen sich die Politik der finanziellen Ausdünnung und der antizipierte Kulturkampf freilich nieder. Die ÖFI-Geschäftsführung ortete einen Rückfall um Jahre, und – sieht man sich etwa die Engpässe an, die bei der Entsendung österreichischer Filme zu Festivals während der letzten zwei Jahre entstanden sind – hatte damit nicht ganz unrecht. Zwar hob Morak im Rahmen seiner „Leitlinien einer österreichischen Filmpolitik” im Jahr 2003 das Budget des ÖFI um 2,3 Millionen auf 9,8 Millionen Euro an, eine schwere Depression hatte die Filmszene während der mageren und – die Kommunikation mit den Regierungsvertretern betreffend – „stummen” Jahre aber bereits erfasst. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass für die Projektförderung im Jahr 2004 ein beachtliches Budget zu erwarten ist, weil zuletzt ganz einfach zu wenig Referenzförderungen entstanden sind.
Beachtlich könnte das Jahr auch in anderer Hinsicht werden: Mit dem Antritt von Roland Teichmann (bisheriger Geschäftsführer des Fachverbandes der Audiovisions-und Filmindustrie der Wirtschaftskammer) am 2. Mai übernimmt nicht nur ein in der Filmbranche respektierter „unbelasteter” Mann das Ruder des Filminstituts, das 23 Jahre lang in den Händen Gerhard Schedls lag, sondern stimmt auch die politische Farbenlehre wieder. Pläne zu Strukturreformen des ÖFI könnten damit neue Chancen bekommen, die lange geforderte Etablierung eines Steuergesetzes mit neuer Vehemenz betrieben werden. Schließlich steht auch eine Novelle des Filmförderungsgesetzes an, die in der Branche mit einiger Skepsis erwartet wird.
Produzieren
Der Kinospielfilm macht nur rund 10% des gesamten Produktionsvolumens in Österreich aus. Dennoch ist die Zahl der Filmproduktionsfirmen in den letzten Jahren explodiert, zum einen wohl aus künstlerischen Gründen („nichts dreinreden lassen”), zum anderen aus dem Trugschluss heraus, als Selbstständiger der Steuerfalle entkommen zu können. Nirgendwo in Europa gibt es eine so hohe Pro-Kopf-Dichte an Filmproduzenten wie in Österreich, so wie auch kein anderes Land dieser Größe sich zwei Regieverbände leistet. Diese Firmen, die oft nur für einen Film existieren, sind weder verlässliche Partner – etwa für so genannte Completion Bonds, also Fertigstellungsgarantien durch ein Versicherungsunternehmen – noch tragen sie zur Konsolidierung der Szene bei. Außerdem sind innerösterreichische Koproduktionen, bei denen jeder der Partner seine spezifischen Stärken einbringen könnte, eine absolute Rarität. Die soziale Situation der Filmschaffenden hat sich massiv verschlechtert, aufgrund der regen Firmengründungstätigkeit scheinen diese neuen Unternehmer aber in der Arbeitslosenstatistik nicht auf. Die mäßige Auslastung hat auch damit zu tun, dass der Großauftraggeber ORF sein Auftragsvolumen an die heimische Filmwirtschaft gedrosselt hat. Vorzugsweise betraut der ORF vor allem drei bis fünf einschlägig bekannte Produktionsfirmen mit Aufträgen, während der Rest der aufgesplitteten Produktionsszene bestenfalls in die Röhre schaut.
Der ORF ist jene österreichische Rundfunkanstalt, die mit den Geldern der GebührenzahlerInnen das versucht, was deutsche Privatsender ohne Gebühren leisten. Dennoch ist das österreichische Filmschaffen ohne ORF nicht denkbar. Mit einigem Recht hält sich der ORF etwas auf das (gemeinsam mit dem Österreichischen Filminstitut betriebene) Film-Fernsehabkommen zugute, in dessen Topf er brav einzahlt, um Filme mitzufinanzieren, die er – nach Ablauf der Kinoschutzfrist – als Quotenbringer ausstrahlen will. Das ist würdig und recht. Dass er diese Filme, aber auch aktuell im Kino startende (wie zuletzt MA 2412 – Die Staatsdiener) so massiv bewirbt, dass man nach einigen Tagen Ankündigungs-Stakkato glaubt, schon den ganzen Film gesehen zu haben, ist vertretbar. Dass er sie aber quasi als Eigenproduktionen verkauft, während doch massiv Gelder anderer Förderinstitutionen (also der SteuerzahlerInnen) drinnen stecken, ist hingegen zumindest fragwürdig.
Kritik am ORF gibt es von allen Seiten: von den Produzenten, vom Filmfonds Wien und vom Dachverband der Filmschaffenden. Heftige Proteste gab es nach der Absetzung der „Kunststücke”, einst, lang ist’s her, ein Vorzeigemodell innovativer Programmgestaltung, in der sogar die international gefeierte österreichische Avantgarde- und Experimentalfilmszene ihr Plätzchen fand. Wenn man daran denkt, dass es einmal eine „lange Nacht” mit den Filmen Dietmar Brehms im ORF gegeben hat, dann kommen einem angesichts des Status Quo die Tränen.
Seine Sendeplätze für den österreichischen Film gestaltet der ORF wechselhaft; im Sommer darf es schon mal der Samstag-Hauptabendtermin („ORF Primetime”) sein. Darüber hinaus leistet sich der ORF eine Kuschelsendung namens „Neues vom österreichischen Film”, die eben diesen aber fast immer nur als im Entstehen begriffenes oder fertiges Produkt betrachtet, nie aber das Umfeld beleuchtet, in dem diese Filme gemacht werden (müssen). Immerhin gedeiht neuerdings ein zartes Pflänzchen auf dem Küniglberg – eine Schiene für den notorisch vernachlässigten (langen) Dokumentarfilm, zwar Sonntag spät abends, aber immerhin. Der für den Dokumentarfilm verantwortliche Redakteur, Franz Grabner, lässt zumindest in dieser Hinsicht Hoffnung aufkommen.
Lichtspiele
Es gab ein, zwei Jahre gegen Ende des vorigen Jahrtausends, da schien es, als würde das Thema „Kino” tatsächlich jemanden interessieren. Die Diagonale organisierte im März 1997 ein Kinobetreibertreffen in Steyr, bei dem Namen genannt und Zahlen gezählt wurden. Doch der stetig steigende Zuschauerzuspruch – nach langen Jahren der gnadenlosen Talfahrt – versetzte die Verantwortlichen in eine derartige Euphorie, dass sie über die nackten Fakten des Kinosterbens auf dem Lande und in der Stadt hinwegsahen. Mit Verspätung, dafür aber umso heftiger, vollzog Österreich die internationale Entwicklung nach: Vor allem Wien wurde – bar jeder kaufmännischen und raumplanerischen Vernunft – mit Multiplexen zugepflastert, die zudem teilweise nur einen Steinwurf voneinander entfernt stehen. Betreiber kamen und gingen, und schließlich musste das an einem unterdurchschnittlich attraktiven Standort angesiedelte UCI-Multiplex an der Lassallestraße die Segel streichen – ein nicht alltägliches Schauspiel.
So gibt es heute zwar immer weniger Kinohäuser, aber so viele Leinwände wie schon lange nicht mehr. Das ist auch nötig, denn schließlich will ein Herr der Ringe auf (zuletzt) 157 Leinwänden gezeigt werden. Heißt nichts anderes, als dass beinahe in einem Drittel aller österreichischen Kinosäle die Rückkehr des Königs gefeiert wurde. Vielfalt oder Eintopf? Mit der sagenhaften Ausnahme des deutschen Blödel-Abenteuers Der Schuh des Manitu (2001) sind Österreichs Kinos fest in der Hand der US-Majors und ihrer Filme. Die Schere klafft immer weiter: Immer weniger Filme räumen immer mehr Box-Office-Einnahmen ab; der Rest (gute 90 % der angebotenen Ware) muss sich mit höchst bescheidenen Zuschauerzahlen zufrieden geben. Immer noch kommen viel zu viele (zuletzt 260) Filme hierzulande ins Kino, Mittelmaß in künstlerischer und kommerzieller Hinsicht, Zeug, das keiner braucht und keiner sehen will. Die Flurbereinigung, die die Kinolandschaft erfasste, blieb auf dem Filmsektor leider aus. Statisch wie der aufgeblähte Filmapparat ist auch die Verleihlandschaft.
Österreichische Filme, die auf dem Multiplex-Markt im Regelfall chancenlos sind, werden von den hiesigen Majors, ganz im Unterschied etwa zu Deutschland, bestenfalls mit Mundschutz und Gummihandschuhen angegriffen. Die Buena Vista, Ausnahme von der Regel, konnte 2003 mit Am anderen Ende der Brücke einen Achtungserfolg erzielen; mit Bockerer IV ging sie verdientermaßen baden. Ansonsten teilen sich der Mini-Major Filmladen sowie Polyfilm und Stadtkino, gelegentlich noch Einhorn, den österreichischen Kuchen, der 2003 oft nach bitteren Mandeln schmeckte. Der Marktanteil des österreichischen Films, der sich ohnehin selten einmal über die 3 %-Grenze schwindelt, erreichte tiefste Tiefen.
Sonnenaufgang
Mag sein, dass der verfahrene Karren sich eines Tages flott machen lässt, wenn die hemdsärmelig-zupackende Denk- und Produktionsweise von in den letzten Jahren gegründeten Firmen wie der Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion, von Amour Fou und von Coop 99 voll zu greifen beginnt. Hier werden nicht nur neue internationale Kooperationen (mit Osteuropa, mit Deutschland und der Schweiz, mit Frankreich) gesucht und gefunden, hier scheint man auch in der Lage, inhaltlich und formal neue Wege zu beschreiten. Das Vorpreschen einer neuen Produzentengeneration hat sich auch in den Auseinandersetzungen um die Diagonale gezeigt, nicht nur mit dem politischen Gegner, sondern auch innerhalb der Verbände. Während die Etablierten sich nur widerstrebend den Boykottaufrufen gegen Moraks Neuschöpfung anschließen wollten, sprangen andere erst im Zuge der sich konkret formierenden „originalen Diagonale” und der finalen Resignation der Morak-Intendanten auf den Zug auf. Die Bedeutung des taktischen Sieges einer kurzfristig vereinigten Filmszene scheint über das Exempel einer autonom entwickelten Kulturveranstaltung hinaus zu führen. Die Jahre hartnäckigen Schweigens sind aufgebrochen, schon soll, so hört man, am runden Tisch Platz genommen werden, um für das Jahr 2005 eine Veranstaltung zu verhandeln, die alle relevanten Ressourcen des Landes berücksichtigt.
Die Autoren danken Mag. Gerhard Schedl vom Österreichischen Filminstitut und Dr. Peter Zawrel vom Filmfonds Wien für anregende Gespräche.