Götz Spielmanns Thriller Revanche
Holzhacken gehört zu jenen Tätigkeiten, die im Laufe des 20. Jahrhunderts grundlegend ihre Bedeutung verändert haben. Aus dem Inbegriff der körperlichen Anstrengung für die bloße Notwendigkeit, es im Winter warm zu haben, ist das Vorbild einer meditativen Tätigkeit geworden, bei der die körperliche Verausgabung dem Finden von innerer Ruhe und Seelenfrieden dient. Götz Spielmann lässt in seinem neuen Film seinen Helden Alex einen ganzen Schuppen voller Holz hacken und das Bemerkenswerte daran ist, dass Alex ganz ohne New-Age-Attitüde einen ähnlichen Verschiebungsprozess durchläuft. Zu Beginn ist es eine Knochenarbeit, die er widerwillig, aber aus Pflichtbewusstsein übernimmt, dann, selbst aus ganz anderen Gründen in seelischen Aufruhr geraten, steigert er sich geradezu manisch hinein, und schließlich ermöglicht ihm das Holzhacken und alles, was unmittelbar damit zusammenhängt, sich selbst neu zu definieren.
Fast ist damit auch schon das Kunststück beschrieben, das Spielmann in Revanche gelingt: Er erzählt die bekannte Genregeschichte vom Mann, der sich dafür rächen will, dass man ihm sein Liebstes genommen hat, mit so viel Bodenhaftung, soll heißen: so konkret aus bestimmten Tätigkeiten, einer bestimmten Umgebung und Zeit heraus, dass sie aktuell und geradezu geheimnisvoll erscheint – und ihr Ausgang überrascht. Tatsächlich stellt Spielmann seine Figuren zuerst mehr über die Orte vor, an denen sie sich bewegen, als über dramatische Geschehnisse: Da gibt es ein neu gebautes Haus unweit eines Sees, irgendwo in einer ländlichen Gegend. Ein Paar wohnt darin, sie arbeitet im Supermarkt, er ist Polizist. Sie haben keine Kinder. In ihrer Nachbarschaft harrt ein alter Mann in seiner Bauernkate aus – er hat gerade das Alter erreicht, in dem es ihm sichtlich zunehmend schwerer fällt, alleine zurecht zu kommen und auch noch seine Tiere zu versorgen. Irgendwann sieht das Paar den alten Mann in seinem knallgelben Volkswagen durch die Gegend fahren. Dass der Alte noch selbst hinterm Steuer sitzt, löst bei beiden gutnachbarschaftliche Besorgnis aus. „Soll ich ihn anhalten?“, fragt der Mann. „Naa, lass, du bist doch nicht im Dienst“, antwortet ihm die Frau. Es ist eine beiläufige, für den Verlauf der Handlung scheinbar ganz unwichtige Szene. In der Rückschau aber zeigt sich, mit welchem Geschick Spielmann seine Erzählung baut: Man erfährt, dass der Polizist mit einer Gewissenhaftigkeit seinen Job verfolgt, die es ihm manchmal schwer macht, die Grenze zwischen Beruf und Privatleben zu wahren. Und man weiß, weshalb die Frau zukünftig jeden Sonntag zur Bauernkate fährt, um den Alten zum Kirchgang abzuholen. Dort wird sie später Alex, den Enkel des Alten, beim Holzhacken treffen.
Alex, gespielt von Johannes Krisch, wohnt in der Stadt. Die hat aus ihm, wie sein Großvater irgendwann sagt, „einen Lump“ gemacht. In seiner ersten Szene, gleich zu Beginn des Films, sieht man den nicht mehr ganz jungen Mann in stiller Vorfreude auf seine Freundin warten. Zärtlich begrüßt er die Ukrainerin (Irina Potapenko). Sie, aber das wird erst später klar, arbeitet als Prostituierte und hat dabei den gleichen Chef wie Alex, der als dessen rechte Hand und Mädchen für alles beschäftigt ist. Es zeichnet diesen Film aus, dass er diese beiden Klischeefiguren der Rotlichterzählung, die Nutte und den Fahrer, die ihr Verhältnis vor dem Bordellboss verheimlichen müssen, eben nicht über ihre Funktion im Milieu, sondern zuallererst als verliebtes Pärchen vorstellt. Zudem als eines, das einander so zugetan ist, dass Alex, als er seine Tamara mit ihren Angehörigen telefonieren hört, sehnsüchtig sagt: „Ich möcht’ deine Leut’ gern amal kennenlernen.“ Für einen Thriller, in dem es wenig später zu einem dramatischen Bankraub kommen wird, ist das ein Satz von merkwürdiger Normalität. Das harte Aufeinanderstoßen von „Normalität“, von Alltagsgebaren und einigen hochdramatischen Gesten macht die spezielle Note dieses Films aus. Es dauert seine Zeit, bis sich durch die Figur von Alex die Verbindung herstellt zwischen den Szenen aus dem Großstadtleben Wiens und denen aus dem beschaulichen Leben in einer ländlichen Gegend irgendwo im Umland davon. Nach und nach gewinnt die Stadthandlung an Dynamik: Tamara wird vom „Chef“ unter Druck gesetzt, den einfachen Bordellbetrieb zu verlassen und sich als Callgirl für spezielle Fälle zur Verfügung zu stellen. Was als Beförderung präsentiert wird, erscheint ihr bedrohlich und unangenehm. Alex hat längst einen Plan, um sich ins Ausland abzusetzen, es fehlt ihm nur noch das nötige Geld dazu. Schließlich weiht er Tamara ein: Er habe vor, eine Bank zu überfallen. Es sei nicht gefährlich, er kenne das Terrain gut. Was zunächst als zufälliger Konnex erschien, erscheint auf einmal in anderem Licht: Alex’ Besuche bei seinem Großvater, bei denen er dem Alten versprochen hat, das Holzhacken für den Winter zu übernehmen, entpuppen sich als verbrämte Erkundungsfahrten für den Überfall.
Nach dem Bankraub, der auf tragische Weise schiefgeht, verändert sich alles. Vom Rhythmus her beginnt ein neuer Film. Doch die Figuren sind noch dieselben, und es zeigt sich, dass Spielmann sie alle so viel Eigenleben hat entwickeln lassen, dass sie durch den abrupten Rhythmuswechsel nicht zu bloßen Marionetten des Geschehens werden, sondern an psychologischer Tiefe gewinnen. Zu verdanken ist das auch dem Schauspielerensemble, das insgesamt mit wohltuender Zurückhaltung agiert und sich dabei der beschränkten Ausdruckskunst seiner Alltagsfiguren annähert, denen man beim Sprechen stets eine doppelte Verunsicherung anhört: in der Hochsprache fühlen sie sich unwohl, aber auch im Dialekt sind sie sich nicht mehr sicher.
Alex also gelingt die Flucht zum Hof des Großvaters, wo er, wie eingangs beschrieben, sich aufs Holzhacken verlegt, als gäbe es kein Morgen. Holzhackend betäubt er die eigenen Schuldgefühle, nährt seine Rachsucht – und beobachtet seine Nachbarn. Die wiederum beobachten ihn. Während der Polizist (Andreas Lust), der mit fatalen Folgen beim Bankraub eingriff, in eine tiefe Depression darüber rutscht, einen Menschen erschossen zu haben, entwickelt seine Frau (Ursula Strauss) auf ihren Besuchen beim „Alten“ ein verwirrendes Interesse an Alex. Immer offensiver geht sie auf ihn zu, vollkommen unbeeindruckt von seiner schroffen Abwehr. Während die Dinge sich auf diese Weise einerseits zuspitzen, kommen sie andererseits ins Lot. Wieder konzentriert sich der Film weniger auf das „Wesentliche“ der Handlung, auf Alex’ Rachsucht, als vielmehr auf das, was sich nebenbei tut. Zum Beispiel zwischen Alex und seinem Großvater. Der Alte (Hannes Thanheiser) macht sich keine Illusionen über seinen Enkel. Abends sitzen sie zusammen in der kahlen Stube und halten Brotzeit. Zu Anfang herrscht verhaltener Ärger unter ihnen. Der Großvater nimmt dem Enkel übel, dass er bei der Beerdigung der Großmutter nicht da war – „Ich war im Gefängnis! Da lassen sie einen nicht beliebig raus!“ –, Alex ist erst gar nicht nach Sprechen zumute. Doch einige Kubikmeter gehacktes Holz später wirkt ihre schweigsame Vesper zunehmend entspannter. Viel zu sagen haben sie einander immer noch nicht, aber der Respekt voreinander ist beträchtlich gewachsen. „Eines muss man dir lassen, schaffen kannst“, lobt der Alte seinen Enkel. Es ist eine ausgesprochen unsentimentale Art der Annäherung, die zwischen diesen beiden passiert – wie überhaupt sich der ganze Film durch seine entschiedene Unsentimentalität auszeichnet.