Ob Literaturverfilmung, Biopic oder Geschichtsrekons-truktion – das Erzählkino blickt derzeit gerne zurück auf Vergangenes. Was uns daran vor allem interessiert, ist das Zusammenspiel von Historie, Sujet und textiler Meterware. Die einzelnen Beiträge des Dossiers „Historische Stoffe“ setzen diesbezüglich unterschiedliche Schwerpunkte: Peter Nau eröffnet mit einer Spurensuche nach dem „materiell Stofflichen in Historischen Filmen von Visconti, Wajda, Kosinzew/Trauberg“. Die Autorin und Regisseurin Jessica Hausner spricht mit Catherine Ann Berger über das allmähliche Verfertigen ihres Drehbuchs zu Amour Fou, ihrem aktuellen Filmprojekt, welches im frühen 19. Jahrhundert angesiedelt ist. Esther Buss hat sich unter anderem angesehen, was die Stoffe und Kleider in einem neurealistischen Frauenwestern wie Kelly Reichardts Meek’s Cutoff erzählen. Alexandra Seibel hat die haptischen Bilder untersucht, die Bright Star und Wuthering Heights prägen und Drehli Robnik ist der Frage nachgegangen, welche Ideen von Geschichte – und Gesellschaft – in so gegensätzlichen „Historienfilmen“ wie The Iron Lady und Les Chants de Mandrin umgehen. Dazwischen hat die Redaktion ein paar kleidsame Lieblingsteile eingestreut.
Eine andere Form von Geschichtsschreibung fand vor 50 Jahren in Oberhausen statt, wo eines der berühmtesten Filmmanifeste aufgesetzt wurde. Wie bereits in der zweiten Ausgabe dieser Zeitschrift, als es über zehn Jahre „Dogma 95“ zu diskutieren galt, haben wir auch dieses Jubiläum zum Anlass für ein kleines Dossier genommen. Sie lesen jene als Manifest dargelegten neun Punkte, mit denen ein Kollektiv österreichischer Filmschaffender 1968 unter der Federführung von Franz Fallenberg (Franz Falmbigl) an die Öffentlichkeit trat, warum der Surrealismus eine Postadresse hatte und was die Manifeste des Dadaisten Walter Serner und des Multitalents Karl Marx gemeinsam haben.
Weiters spricht Anja Salomonowitz mit Otto Reiter über ihren Zugang zum Filmemachen und ihre jüngste Kinoarbeit Spanien. Norbert Pfaffenbichler stellt das vorläufige Werk von Dariusz Kowalski vor und Stefan Grissemann hat sich eingehend mit den Filmen des „Wiener Filmvorkämpfers“ Ferry Radax auseinander gesetzt, dem die Diagonale 2012 ein Tribute widmet. Weitere Beiträge gelten Ruth Maders Dokumentarfilm What Is Love und Umut Dags Langfilmdebüt Kuma. Im vermischten Schlussteil des Heftes widmen wir uns in zwei Interviews noch einmal dem analogen Kino – aus der Perspektive eines Filmvorführers und aus jener eines Archivars – sowie seiner Fortführung mit digitalen Mitteln, wie sie der Animationskünstler David O’Reilly betreibt.
Unser nächstes Heft erscheint im Oktober 2012.
Die Redaktion - Wien, März 2012