Sonderheft 19, März 2013

Monika Mokre

Kulturproduktion zwischen Markt und Demokratie oder: Was sich in 20 Jahren über Filmförderung lernen lässt

Nostalgische Eingangsbemerkung: Mein letzter Text zur Filmförderung wurde im Jahr 1992 veröffentlicht, als Teil einer Diskussion des Filmfördergesetzes von 1980 und im Vorfeld der Gründung des Österreichischen Filminstituts.1 Einen eigenen Text nach 20 Jahren wieder zu lesen, ist kein ganz ungetrübtes Vergnügen, sondern führt häufig zu einem leichten Gefühl der Peinlichkeit. So auch in diesem Fall – die Naivität, mit der die Autorin davon ausgeht, dass kulturelle und wirtschaftliche Leistungen problemlos Hand in Hand gehen, würde ich heutzutage in jeder Seminararbeit einigermaßen zynisch kommentieren. Zugleich sollte man der jungen Frau zugutehalten, dass sie zumindest die grundlegende Spannung zwischen künstlerischem Anspruch und wirtschaftlichem Erfolg richtig beschrieben hat. Im Übrigen befand sie sich zum Zeitpunkt der Publikation dieses Artikels mit ihrem ungetrübten Optimismus in Bezug auf die ökonomischen Entwicklungschancen des österreichischen Films in guter – oder zumindest zahlreicher – Gesellschaft, da im Jahr 1986 Müllers Büro produziert worden war, bis heute eine der kommerziell erfolgreichsten österreichischen Filmproduktionen.

Und schließlich hatte sie sich auch nicht – so wie ihr älteres Alter Ego – über Jahre hinweg mit der Kreativwirtschaft beschäftigt, die zu dieser Zeit im österreichischen Diskurs noch kaum eine Rolle spielte. In Hinblick auf diese Debatten hätte es im Übrigen durchaus sinnvoll sein können, mir diese Lektüre schon früher zuzumuten. Denn tatsächlich zeigen sich hier – in zehn- bis zwanzigjähriger Verschiebung – recht deutliche Parallelen.

Die einerseits in der starken Verzögerung der Reaktionen der österreichischen Kulturpolitik im internationalen Vergleich bestehen: Während in verschiedenen europäischen Ländern ab den 1950ern Filmförderungsgesetze erlassen wurden, gab es in Österreich ab 1970 Überlegungen dazu und es dauerte noch einmal zehn Jahre, bis diese Überlegungen in ein Gesetz mündeten. Mit einem ähnlichen Vorlauf gelangten Überlegungen zur Kreativwirtschaft nach Österreich.

Andererseits wurden in beiden Fällen aus – selektiv betrachteten – internationalen Erfahrungen sehr optimistische ökonomische Erwartungen für die heimische Situation abgeleitet. Während die Prognosekraft dieser Erwartungen in Bezug auf die Kreativwirtschaft noch nicht gesichert eingeschätzt werden kann – auch wenn Skepsis durchaus angebracht erscheint –, können wir in Bezug auf den österreichischen Film mittlerweile ein recht gesichertes Urteil abgeben: In den meisten Fällen werden österreichische Filme zu fast 100 Prozent öffentlich finanziert – Müllers Büro, eine Low-Budget-Produktion, die mehr einspielte, als sie kostete, blieb eine der wenigen Ausnahmen.

Kulturpolitik statt Wirtschaftspolitik

Diese Erkenntnis erleichtert nun zumindest eine adäquate Perspektive auf die österreichische Filmwirtschaft, nämlich dass sie keine „Wirtschaft“ im üblichen Wortsinn darstellt, da sie öffentlich finanziert wird und nicht gewinnbringend arbeitet. Dass österreichische Filme im Regelfall keine Erlöse bringen, spiegelt sich übrigens auch in der Filmförderung wider, genauer gesagt im Instrument der „Referenzfilmförderung“ beim Filminstitut, dem zufolge erfolgreiche Filme zum Anspruch auf neue Fördermittel führen – in anderen Wirtschaftszweigen führen erfolgreiche Projekte im Regelfall dazu, dass Eigeninvestitionen in neue Projekte möglich sind.

Die wirtschaftliche Erfolglosigkeit der österreichischen Filmwirtschaft ist selbstverständlich nicht den Filmschaffenden anzulasten, sondern diversen, allseits bekannten Strukturmerkmalen, wie insbesondere kleinen Märkten und starker Konkurrenz aus den USA. Doch vor dem Hintergrund dieser Erfolglosigkeit erscheint es problematisch, auf eine stärkere Marktausrichtung des österreichischen Films zu setzen, wie dies etwa der Produzent(inn)enverband „Film Austria“ tut, wenn er sich darum bemüht, „den Marktanteil österreichischer Filme laufend zu steigern“, und auf „Unternehmertum im wirklichen Wortsinn, mit bewusster Bereitschaft zu Risiko und dem Willen zu Erfolg und Ertrag“ setzt. Und auch die Behauptung einer „Synergie von Qualität und Markt“ erscheint vor dem Hintergrund der österreichischen Einspielergebnisse ein eher selbstschädigendes Argument.2

Wenn davon auszugehen ist, dass Filme in den seltensten Fällen wirtschaftlich erfolgreich sind und daher auch nicht zu diesem Zweck produziert werden, so bedeutet dies, dass die Kriterien zur Förderung der Filmwirtschaft kulturpolitische und nicht wirtschaftspolitische sein sollten. Der österreichische Filmwirtschaftsbericht 2007 meint dazu allerdings: „Der Erfolg an den Kinokassen muss als ein kulturpolitisches Ziel gesehen werden. Denn auch ambitionierte Filme haben ihr Publikum zu erreichen, andernfalls macht Filmförderung nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell keinen Sinn.“3 Diese elegante Formulierung übertrifft noch die Naivität meines Frühwerks zu diesem Thema. Es ist unumstritten, dass ein Film, der von niemandem gesehen wird, geringen kulturellen Nutzen bringt, doch zugleich kann ein Film mit sehr geringen Einspielergebnissen sein potenzielles Publikum völlig ausgeschöpft haben. Und generell spricht der Erfolg an den Kinokassen ja eher dafür, US-amerikanische Produktionen zu fördern. Allerdings lassen sich tatsächlich kulturpolitische Argumente für die Förderung möglichst populärer Filme finden, etwa die Stärkung kollektiver österreichischer Identität oder auch eine höhere Anerkennung von Popularkultur. Und es lassen sich mindestens ebenso gute Argumente für die Förderung von z. B. formal anspruchsvollen und/oder inhaltlich widerständigen Produktionen finden, etwa ästhetische Bildung oder die Anregung demokratischen Konflikts.

Kulturpolitik und Demokratie

Kulturpolitische Argumente sind nicht neutral und auch häufig nicht mehrheitsfähig. Sie beruhen auf normativen Konzepten von Gesellschaft und der Rolle, die Kultur in einer Gesellschaft spielt. Die nachfolgenden Überlegungen dazu sind also durchaus subjektiv geprägt, sie sind aber nicht Ausdruck individuellen Geschmacks, sondern einer kulturpolitischen Argumentationslinie, die auf demokratietheoretischen Überlegungen beruht.

Denn Politiken in Demokratien haben sich stets auch an ihren demokratiepolitischen Auswirkungen zu messen. Geht man von der ebenso griffigen wie unpräzisen Formulierung von Abraham Lincoln aus, dass Demokratie „government of the people, for the people, and by the people“ ist, dann lassen sich hier zahlreiche mögliche Legitimationen für Kulturpolitik finden.

Etwa im Begriff des „Volkes“, das hier herrschen und beherrscht werden soll, sich zu diesem Zweck aber erst einmal selbst konstruieren muss. Diese Konstruktion bedeutet stets und notwendigerweise die Definition eines „wir“ und zugleich die Abgrenzung dieses „wir“ von den „anderen“. Traditionell wird diese Identifikations- und Abgrenzungsleistung durch den Begriff der Nation erbracht, also einer Konstruktion kultureller (häufig auch sprachlicher) und historischer Gemeinsamkeit. Einem solchen nationalen Bewusstsein dienten etwa die österreichischen Heimatfilmproduktionen der 1930er. Doch auch wenn filmische Inhalte nicht so eindeutig konnotiert sind, könnte argumentiert werden, dass ein möglichst großes heimisches Publikum der Schaffung oder Stärkung österreichischer Identität dient. Allerdings stehen diesem Argument ein filmspezifisches und ein gesellschaftliches Problem entgegen. Erstens erscheint aufgrund der insgesamt sehr geringen Reichweite des österreichischen Films in Österreich Identitätsbildung über österreichischen Film fraglich. Zweitens und wichtiger aber stellt sich die Frage, was österreichische Identität in einer weitgehend postnationalen Gesellschaft bedeuten kann bzw. ob der Begriff der nationalen Identität überhaupt noch zeitgemäß ist. In einer Zusammenschau dieser beiden Überlegungen lässt sich daher plausibel argumentieren, dass alle österreichischen Filme nur spezifische Teilöffentlichkeiten erreichen, dies auch durchaus der Gesellschaftsstruktur entspricht und daher die Kinokasse als Erfolgsparameter problematisiert werden sollte.

Die Lincoln-Formulierung geht des Weiteren davon aus, dass das Volk in einer Form regiert werden soll, die „für“ das Volk, also im Interesse des Volkes ist. Doch was ist das Interesse des Volkes? Kann ein Volk überhaupt ein gemeinsames Interesse haben? Interessen „des Volkes“ bedürfen ständiger neuer Definitionen und laufender Verhandlungen. Zu diesen Verhandlungen können Kunst und Kultur beitragen – nicht indem sie allgemein akzeptierte Lösungen für Konflikte anbieten, sondern im Gegenteil, indem sie Konflikte offenlegen, Positionen zeigen, die unberücksichtigt oder gar unsichtbar waren. Dies lässt sich etwa auch über spezifische filmische Inhalte vermitteln.

Schließlich soll das Volk durch das Volk regiert werden. Viele Demokratietheorien kämpfen hier mit der Frage, inwieweit das Volk in der Lage ist, sich selbst zu regieren, ob es genug Sachkenntnis oder auch genügend demokratisches Bewusstsein dafür hat. Traditionell wird Kunst und Kultur eine Bildungsfunktion zugeschrieben – etwa in der bekannten Definition des Theaters als „moralische Anstalt“ durch Friedrich Schiller. Aus dem Interesse an politischer Bildung entwickelte auch Bertolt Brecht das epische Theater, das die Zuschauer(innen) zum Nachdenken (und nicht zum Mitfühlen) anregen soll, und Dario Fo seine politischen Satiren. Und auch im Bereich des Films spielte politische Bildung in vielen historischen Epochen eine zentrale Rolle, etwa in einem großen Teil des Filmschaffens in den realsozialistischen Staaten oder auch in den Demokratisierungsfilmen, die die USA für die Entnazifizierung in Deutschland produzierten.

Diese Versuche der Indienstnahme von Kunst für politische (Bildungs-)Zwecke wurden häufig und plausibel kritisiert. Nicht nur wird hier die Freiheit der Kunst der Politik untergeordnet, es wird auch suggeriert, dass die Ziele politischer Bildung klar definierbar sind und dann nur der entsprechenden Vermittlung bedürfen. Betrachtet man hingegen Demokratie in erster Linie als eine Form der Aushandlung von Konflikten, in denen keine Position von Anfang an als richtig oder falsch betrachtet werden kann, dann kommt der Kunst und Kultur eine andere Rolle zu. In diesem Sinne schreibt Hegel der Kunst die Möglichkeit zu, eine „Situation“ zu schaffen, einen Raum, in dem Differenzen auf produktive Art kollidieren können – in der Terminologie von Gerald Raunig: Aus einem Grenz-Wall wird ein Intervall.4 Diese Leistung erbringt die Kunst nicht in erster Linie durch repräsentierte Inhalte, sondern durch Formen, die verstören, infrage stellen, offenlassen – etwa im Bereich des Experimentalfilms.

Abgesehen von der seit Langem diskutierten Frage, wie der Souverän in der Demokratie die nötige Kompetenz für die Ausübung seiner politischen Rechte und Pflichten erwerben kann, verdeutlicht die Lincoln-Formel aber auch ein zentrales Problem zeitgenössischer Gesellschaften, nämlich dass immer mehr Menschen zwar regiert werden, aber aufgrund fehlender politischer Rechte an der Regierung nicht mitwirken können. Lösungen für dieses Problem sind selbstverständlich nicht von Kunst und Kultur zu erwarten, sondern politisch zu entwickeln. Doch können Kunst und Kultur zumindest Möglichkeiten der Präsentation und Repräsentation derer bieten, die im politischen System nicht repräsentiert werden. Allerdings spielen hier die Form der Präsentation und die Funktion, die ihr zugeschrieben wird, eine wichtige Rolle. Die Behauptung geschlossener (üblicherweise kultureller) Kollektividentitäten etwa erschwert politische Auseinandersetzung, statt sie anzuregen. Und wenn kulturelle Produktion als Ersatz für politische Teilhabe verstanden wird, werden Ausschlussmechanismen möglicherweise noch verstärkt. Doch kann kulturelle Produktion und Präsentation auch Individuen und gesellschaftliche Gruppen sichtbar machen, die aus dem politischen System ausgeschlossen sind, und politische Positionen veröffentlichen, die keinen anderen Platz zur Artikulation finden. Die Umsetzung dieses kulturpolitischen Ziels hängt also von den Kunstproduzierenden wie auch von den Inhalten von Kunst ab. In diesem Sinne wurden etwa im Rahmen der wienwoche 2012 drei Videoprojekte des in Wien lebenden serbischen Rom, Saša Barbul, über Roma in Serbien und die verdrängte Geschichte der nationalsozialistischen Auslöschung der Roma finanziert.5

Möglichkeitssinn

Wenn künstlerischen und kulturellen Produktionen nun all diese Leistungen für die Demokratie zugemutet werden sollen, dann stellt sich die Frage, aufgrund welcher Spezifika sie in der Lage sein sollten, diese zu erbringen. Aus einer demokratietheoretischen Sicht, die ja stets und notwendigerweise auch die Forderung nach Freiheit der Kunst einschließt, kann es nicht darum gehen, politische Zielsetzungen ästhetisch umzusetzen und damit einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Vielmehr geht es darum, die Offenheit und Unabgeschlossenheit jeder realen Umsetzung von Demokratie für politischen Streit und politische Veränderung fruchtbar zu machen. Kultur- und daher auch Filmproduktion kann durch neue Perspektiven, neue Themen, neue Formen dazu beitragen, politische Realität und angebliche Sachzwänge infrage zu stellen und zu dekonstruieren – und dadurch „die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen zwingen“6. Kunst und Kultur kann es gelingen, das Tatsächliche, Erwartbare und Kalkulierbare in Form und Inhalt zu überschreiten und damit den von Robert Musil angerufenen Möglichkeitssinn im Gegensatz zum Wirklichkeitssinn zu bestärken.7

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass eine Ausrichtung von Förderungsmaßnahmen an demokratischen Grundsätzen zu grundlegend anderen Förderinstrumentarien und -verteilungen führt als die Ausrichtung an (realen oder potenziellen) Märkten. Aufgrund der (kommerziellen und kulturellen) Doppelfunktion der Filmproduktion lässt sich selbstverständlich auch eine kommerzielle Orientierung argumentieren – allerdings scheinen die Erfolgschancen für diese im Falle des österreichischen Films eher fraglich. Jedenfalls aber sollte klar sein, dass diese beiden Zielsetzungen nicht Hand in Hand gehen, sodass zumindest einzelne Förderinstrumente – wenn nicht das gesamte Fördersystem – Prioritäten klar definieren müssen, um nicht ins Leere zu gehen. Das immerhin habe ich in den letzten 20 Jahren dazugelernt.



1 Monika Mokre, „Kostet der österreichische Film zuviel?“, in: Gustav Ernst und Gerhard Schedl (Hg.), Nahaufnahmen. Zur Situation des österreichischen Kinofilms, Wien/Zürich 1992.

2 Link
http://www.filmaustria.com/ueber-film-austria.htm, 14. 2. 2013.

3 Link
http://filmwirtschaftsbericht.filminstitut.at/07/foerderungen-undfinanzierungen/ filmfoerderung/, 14. 2. 2013.

4 Gerald Raunig, „Vom Grenz-Wall zum Intervall“, in: Shams Asadi und Monika Mokre, URBANe Kulturen, Innsbruck et al. 2002, S. 79–87.

5 Link
http://www.wienwoche.org/de/programm/#/109/unser_weg_-_amaro_drom, 14. 2. 2013.

6 Karl Marx, „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung“, MEW 1, Berlin 1984, S. 381.

7 Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Band I, Reinbek 1987, S. 16.


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