Sonderheft 23, März 2015

Drehli Robnik

These Important Years

Das ewige Leben, fehlende Zeiten, Fleischkreisläufe und Geschichtsgrenzen in den Brenner-Filmen

Der Brenner als Dauerbrenner. Dieser Kalauer ist wohl schon wo aufgetaucht, aber das ist wurscht, und: Es ist ja auch so – dass die Romanverfilmungen nach Wolf Haas mit Josef Hader, geschrieben von beiden mit Regisseur Wolfgang Murnberger, kommerziell zünden und das Brennen dann andauert.

Vier Brenner-Filme gibt es: Komm, süßer Tod, 2000; Silentium, 2004; Der Knochenmann, 2009; Das ewige Leben, 2015. Sie spielen jeweils in Wien, Salzburg, der steirischen Provinz und Graz. (Zu Haas’ Vorlagen kann ich nichts sagen.) Eine Tetralogie, zumal mit alternder Hauptfigur, gibt es im deutschsprachigen Mainstreamkino nicht oft. Die vier Bockerer-Filme bieten sich zum Vergleich an; zu wessen Gunsten der ausfällt, ist klar. Ebenso klar ist: Die Geschichtlichkeit der Hauptfigur, ihre Art, in der Geschichte zu sein (und zur Kinogeschichtsikone zu werden), ist beim bockigen Brenner anders als beim Fleischhauer des (Nach-)Nazi-Historienrevuevierteilers. Von Fleisch, das „gehaut“ wird, handeln aber auch die Brenner-Filme. Deren Geschichtlichkeit ist Verfleischlichung als Verzeitlichung, mit ihren Formbildungen und Deformationen. Brenner ist in der Zeit, die im Fleisch brennt (also auch out of time); mal akut, mal auf Dauer, als das tägliche Brennen, und brenna tuats schon lang – aber das sind zwei andere (Österreich-Film-)Geschichten.

Dass es in Das ewige Leben „noch a bissl existenzieller sein soll“, war der Ansatz des Drehbuchtrios, heißt es im aufschlussreichen Interview der ORF-Seitenblicke Weekend mit Hader. Das Label „existenziell“ ist Teil der Film-PR, also muss in Sachen Zeitlichkeit-als-Geschichtlichkeit (des Films) Herr Heidegger nicht (noch mehr) her – auch nicht Herr Rancière –, sondern: In der Frage, wie mainstreamfilmische Körper verzeitlicht sind und wie das auch unser am Filmbild hängendes (am Download-Tropf hängendes, ab und zu noch im Kino abhängendes) Fleisch betrifft – zumal in diesem Fall von dauerbrennendem Zeitfleisch –, ist es nützlich, Filmtheoretikerin Linda Williams heranzuziehen.

An Williams’ kanonischem Aufsatz „Film Bodies: Gender, Genre, and Excess“ (1991) ist zunächst jener Aspekt einprägsam, der sich wie eine Säftelehre zur Rolle des Empfindens beim Konsum von Filmen aus den body genresMelodram, Porno und Horror liest. Für die In- timität zwischen dem, was Körper im Bild und Körper vor dem Bild (unsere) im Ablauf von Filmen so tun, nennt sie jeweils ein Körpersafterl, das ausgiebig rinnt, on screen wie auch im Saal oder auf der Couch: Es fließen Tränen beim Melo, Sperma (und, weniger mit Beweislast aufgeladen, Scheidenflüssigkeit) beim klassischen Porno, Blut (bzw. Angstschweiß) beim Horror. Aber (das betont Williams): Die Beziehung der film bodies ist nicht direkt eine der Mimesis; wir fühlen/safteln nicht einfach mit, was das Bild vorfühlt und -fließt, sondern Filme verwickeln die im Empfinden ausrinnenden Körper in ihre jeweilige Zeitordnung des Begehrens, das durch den Leib geht; body genres sind Muster für „cultural problem solving“, so Williams, im Umgang mit Identifizierung, die auf Körper zugreift. Da kommt Geschichte ins Spiel, als Projektion, Andauern, Nachhallen von Machtausübungen und Wunschbildungen. Geschichte embodied über die Erfahrung/Empfindung eines „Genau jetzt!“, „Zu früh!“, „Zu spät!“ jeweils in Porno, Horror, Melodram: Die drei Arten der An- und Zumutung von Zeitlichkeit sind in den (Genre-)Registern, die die Brenner-Filme virtuos bespielen, aktiv. Und es wird, weil ja auch der Brenner-Filme vier sind, ein viertes Genre- und Zeit-Register hinzukommen.

Für jedes Register ist ein Brenner-Filmtitel emblematisch. Für das Moment des Pornos, den Moment des „Genau jetzt!“ steht Komm, süßer Tod. Porno heißt: Zeit wird pralle Gegenwart, in der alles in Gleichzeitigkeit (im süßen Tod) zusammenkommt und zusammen kommt, alle adäquat identifiziert sind, nämlich als geil. Diesbezüglich ist der Fick von Brenner mit der von Barbara Rudnik gespielten Schulfreundin im ersten Film ein früher Höhepunkt; da ist alles, wenn auch blurred, so doch „scharf“, klar, orgiastisch. Danach kommt wenig bzw. zu früh: In Der Knochenmann ejakuliert Brenner unter Birgit Minichmayr so bald, dass ihr Seufzen fast (selbst)mitleidig klingt. Das Timing der Brenner-Filme spießt sich mit dem Empfinden erfüllter Gegenwart; programmatisch die Gestaltung der Verfolgungsjagden jeweils gegen den Rausch des rasanten Jetzt – in einem mit Auspuffgasen gefüllten Rettungswagen in Komm, süßer Tod, in Das ewige Leben per Moped im Plabutschtunnel, dann hinkend den Grazer Schlossberg rauf.

Wenn’s zu früh kommt, ist das im patriarchalen Porno der Horror; im Horrorfilm ist „Zu früh!“ die Norm: Dort trifft die Gewalt uns und die Figuren kategorisch zu früh und unvorbereitet; wäre man vorbereitet, nicht „ausgesetzt“, wär’s eher Actionkino. Das „Zu früh!“ ist die Zuspitzung der Erfahrung von Endlichkeit: das jähe Anklopfen von Sensenmann oder Knochenmann; letzterer Brenner-Film, der die Fleischwerdung von Menschen am weitesten treibt, und sein Titel sind hier emblematisch. Aber das „Zu früh!“ strahlt in alle Brenner- Filme aus: Die fesche Rudnik ist 2009 früh gestorben; in Das ewige Leben hat Brenner keinen Sex; der Jugendfreund, der Sex hat, ist zu alt, zumal in Relation zu seiner Freundin, die vielleicht seine oder Brenners Tochter und 25 Jahre jünger als er ist. Ihre Rücksichtnahme beim Sex – das sei gefährlich für sein krankes Herz – empfindet er als Ehrenkränkung und er kontert sie mit Selbstbeweis-Rammeln samt Popo-Entblößung.

Schon klar: So ein Popo ist kein Beispiel für Horror. Allerdings haben wir da Inszenierungen von Zeitlichkeit vor uns, die sich als barock sehen lassen, und da liegt der Horror- Konnex: Der Zeiger, der aufs ewige Leben deutet (etwa im Showdown beim Grazer Uhrturm), ist die Knochen(mann)hand, die anzeigt, dass das irdische Leben abläuft; eben kategorisch zu früh. Der Totenkopf grinst aus dem eitlen Gesicht – oder aus der Bildverzerrung, wie sie ein Spiegel bewirkt. In einen solchen, üppig ornamentierten, schauen Jugendfreund und Freundin/ Tochter nach dem Sex, der das Leben des herzkranken Hengsts wohl verkürzen wird. Damit agieren sie eine implizite Vorhersage aus, die ein weiterer Veteran aus der 1970er- Freundesclique kurz vor seinem Abgang gemacht hat: In einen Barockspiegel passe eine ganze Familie. Und, so seine zweite Vorhersage, da müsse man aufpassen, dass man nicht wie im Spiegelkabinett aussieht – so wie Brenner mit seiner lebenslügenlang verzerrten Nase im Spiegel der Alu-Wand des Damenklos, auf dem seine Jugendliebe Maritschi – die Mutter seiner oder des Freundes Tochter – ihm einige Familienroman-Wahrheiten sagt.

In Sachen Wahrheitsfindung zeigt sich ebenfalls die brennerfilmische Zur-Unzeit-Logik. Im Krimi ist der Moment der Aufklärung ein wahrheitspornografischer money shot: „Jetzt wird’s klar!“; im Horrorfilm regiert das „Zu früh!“. Es betrifft, so Williams, die Zuschreibung sexueller Differenz, weiter gefasst: die Erfahrung, dass ein begehrter Körper ein Eigenleben hat, das quer zu meinem Begehren steht, oder dass mein Leib objektivierender Fixierung (gar Erstarrung) ausgesetzt ist; beides trifft unvorbereitet ein. Erstere Erfahrung machen wir in jenem Moment der Wahrheit in Der Knochenmann, in dem die kesse Kellnerin sich als ein ebensolcher erweist: als gesuchter Verschwundener, und zwar mitten in einer Geschlechtsumwandlung, von der ein Restpenis (Rest-boner) zeugt, den Brenner und Sidekick Berti entgeistert begaffen: „So, Herr Brenner, jetzt ist alles aufgeklärt. Sind S’ jetzt glücklich?“, fragt die Fast- Frau den Nebenbei-Detektiv. Berti verliebt sich in sie; für Brenner fallen Aufklärung und Glück auseinander: Angesichts einer sexuellen Differenz, die sameness zeigt, wo otherness erwartet wurde, bleibt ihm nur heteronormierte Apathie.

Der zweite Horror-Aspekt – das Subjekt, festgemacht mit Haut und Haar: an Identitäten, an Gestellen – ist verbildlicht in den grotesken Todesanlagen der Filme: im Knochenmann die Fleischaufhängung à la Texas Chainsaw Massacre im Keller und die Knochenmühle, zugleich Fleischwolf für nicht länger identitätsbehauptende Männerkörper; in Komm, süßer Tod und Silentium enge Mordkammern, die eher Richtung Nazi-Holocaust verweisen – „Gaswagen“ des Rettungsdiensts Kreuzretter, versperrte Dusch(koch)kammer im Priesterseminar. Hier schlägt nun der vierte Film einen Haken. Während gleichzeitig mit dem Kinostart das Hängen eines Mannes an Fleischhauerhaken quasi in die zweite Reihe des Haas/Murnberger-OEuvres entsorgt wird (im ORF-Klamauk Vier Frauen und ein Todesfall, Folge Saumagen), konstruiert Das ewige Leben düstere Anlagen aus viel größeren wie auch viel kleineren Verkopplungen: Brenners Horror-Haus mit wackligem Stromanschluss zum Nachbarn und verlässlichem Wasseranschluss zum Regenhimmel, im gestreuten Showdown zur Groß-Anlage verkoppelt mit grotesker Murinsel und urigem Uhrturm; aber auch die kleine Verschraubung von Pistole und Schalldämpfer (Logo des Films), Nachfolgerin des Erstickungsplastiksacks am Ende des zweiten Films: Beide bewirken „Silentium“.

Wenn Stille als Schweigen herrscht, nähern wir uns Williams’ drittem Genre, dem Melodram, der Logik des „Zu spät!“. Liebe und Glück sind dahin, alle Chancen vorbei. Das Ende von Der Knochenmann – Berti und Peniskellnerin flirten, Brenner und die andere Kellnerin (Minichmayr) nehmen traurig Abschied – bekräftigt, dass es für Brenner keine Romanze gibt; Das ewige Leben führt uns in ein Melo, das nicht „Liebesfilm“ ist, sondern family melodrama. Am Rand der üppigen Namenspoesie der Brenner-Filme ist dies so chiffriert: Das ewige Leben ist der erste Brenner-Film, in dem Berti nicht vorkommt. Sein Darsteller Simon Schwarz tritt ab, ein anderer Simon rückt nach: Brenner, erst Kreuzretter, dann Kreuzträger – in einem sight gag von Silentium als Nachfolger des biblischen Simon, der Jesu Kreuz trug –, wird hier erstmals beim Vornamen Simon genannt, von Maritschi, als sie ihn für sein Scheitern als (möglicher) Vater schilt.

Den scheiternden Vater gab Hader schon 2009 im TV-Traumakrimi-Melo Ein halbes Leben: Ein Mann muss für einen lange zurückliegenden Sexualmord in Haft; seine Tochter kommt in Adoption. Zu den Vätern mit ihren Sünden steht Hader in den ersten drei Brenner- Filmen in Kontrast, im vierten in Rivalität. Das Konzept Melodram wird hier relevant in Hinblick auf frühe (Bühnen-)Formen dieses Genres (siehe Thomas Elsaessers „Tales of Sound and Fury“, 1972): Haarsträubende Rührstücke beschwören die Bedrohung unschuldiger bürgerlicher Vitalität durch eine patriarchale Verkörperung überholter, übergriffiger Feudalmacht. Solch ein Patriarch, der auf obszöne Art mehr genießt, als Recht und Ökonomie erlauben (in manchem ähnlich den Grafen der Horrortradition), begegnet uns in Komm, süßer Tod als konspirativer Kreuzretter-Chef Junior, getrieben vom Erbe seines Vaters; in Silentium im Zöglinge molestierenden Beicht-Vater, im Tenor mit Faible für Jungfrauenurin und im Festspielchef mit NS-Antiquitäten und einer Tochter an der kurzen Leine; in Der Knochenmann schließlich als archaischer Fleischhauer-Wirt, der alle einkocht („Mir san a Wirtshaus, koa Gasthaus“).

Der von Josef Bierbichler (welch ein Name!) verkörperte Wirt ist Blueprint für Brenners Vater-Rivalen Aschenbrenner im Ewigen Leben, den Tobias Moretti spielt. Beide stauchen ambitiös aufmuckende (Quasi-)Söhne – Junior-Wirt bzw. Jungpolizist – zusammen und philosophieren mit Brenner, während man nebenan laut feiert. Und die Namen! Dem Wirt Löschenkohl, der schon nominell Brenner dämpft, entspricht Polizeibrigadier Aschenbrenner, der wie Brenner mehr raucht, als er soll (und am Schreibtisch im Plastikbecher abascht), und, anders als er, seine Ziele mittels verbrannter Erde durchsetzt. (Sein Darsteller heißt wie ein Bier von unterhalb des Brenners.) In dem herzkranken Alphamann mit Inhalator, der am Schreibtisch Böses plant, hallen diverse Vater-Imagines nach: Dennis Hopper, einst Freigeist, nun despotischer Fuck-Daddy mit Inhalator in Blue Velvet, aber auch andere Moretti-Rollen: Hitler, um Freundschaft zum coolen jungen Speer bemüht, kleinbürgerlich dialektknödelnd in Speer und er; Der Vampir auf der Couch, an Spiegelbild- und Ewiges-Leben-Sorgen leidend; in Das finstere Tal das Oberhaupt der Bande der Söhne vom „Brenner-Bauer“, die dem DorfÜbervater das ius primae noctis an zu jungen Frauen sichern. Und nun Aschenbrenner, einst Oberhaupt einer Viererbande, in der „keiner den Schwanz einzieht“, heute obszöner Vater/Mann einer „zu jungen“ Frau mit Luxuswohnung.

Ein anderes Melodram-Konzept führt, nun „unfigürlich“, in Faltungen und Fehlungen der Zeiten zurück. Laut Hermann Kappelhoff ritualisiert das Melo Stürze aus der Fiktion bedingungslosen Geliebtwerdens in harte Bandagen/Bedingungen der Objektivierung von Leib und Leben, sprich: sexuelle Differenz, monetäre Äquivalenz oder Mindestrente. Im für Letztere zuständigen Amt beginnt Das ewige Leben, mit einer defigurierenden Vorspannmontage (Namen der Stars über anonymen, müden Rentenantragsgesichtern); dann der Auftaktsatz der Beamtin, wie ein Motto (nach Linda Williams): „Ihnen fehlen die Zeiten, Herr Brenner.“ Und ihm fehlen erinnerte Raumqualitäten: Mutters Hausruine, das vom Baum eingedepschte Bubenzimmer mit Hendrix-Poster, das bietet keine Obhut mehr. Dem Sturz aus der Kinderfiktion der Liebe folgt der aus der Bubenfiktion der Coolness. Hader treffend im Interview: „Es ist nimmer so lässig, wenn man der alte Cowboy ist, wenn man sehr bald Mindestrentner ist … wo man a Leben lang cool war, aber dann ist’s nimmer cool, dass man cool ist. Dann ist man nur mehr a alter Trottel, der nix erreicht hat, der net weiß, wie er sei’ Pension kriegen soll.“

Das biografische Fehlen der Zeiten wird aufgeladen, tendenziell historisiert durch 1970er- Reminiszenzen: Riminiszenzen, spielten die Nacktbadeszenen mit Maritschi nicht an der jugoslawischen Adria. In einem anderen Flashback steht am Rand ein Fußballtisch der Art, die in Silentium Brenner in Nostalgie versetzt, ein Relikt aus „die 60er-Jahr“ – wie das eiernde „When I Was Young“ der Animals, das in Das ewige Leben damals wie jetzt der Kofferplattenspieler auswürgt. Die Nostalgie des Songs hallt wider im Score der Sofa Surfers; ihrem knochig isolierten Dubstep-Drumbeat zum vorigen Film folgen nun bluesige Gitarren- und Keyboardflächen, Drones, wehmütiger Rückwärtslauf, Feedbacks wie Flashbacks. Auch sind die Spätsiebziger in den Rückblenden eine „Zu spät!“-Zeit, die im unaufhaltsamen Sonnenuntergang großer Wünsche den langen Sixties nachweint, mit Nachhall in Brenners hatschertem Habitus (der paradoxerweise perfektioniert wird in diesem Post-Indie-Slacker-Blockbuster-Paradox). „Die Siebzgerjahr werd’n überschätzt“, sagt Brenner zum forschen Jung-Cop (der erwidert: „Aber schon a leiwande Zeit, oder? Freie Liebe und so“). Hader spinnt das im Interview fort: Als er (1982) das neokonservative Aufsteigerdrama An Officer and a Gentleman gesehen habe, habe er geahnt, es komme eine „andere Zeit“: „Wie Reagan und Thatcher an die Macht kommen sind, hat’s wieder Happy Ends geben in den Filmen.“ Hader liegt richtig mit seiner Kurzkritik von Reaganite Entertainment (Andrew Britton) und bleibt in der zweckpessimistischen Sicht auf Das ewige Leben – „Der vierte Film einer Reihe ist nicht unbedingt etwas sehr Prickelndes“ (Licht*Spiele, März 2015) – Brenners Positiv-denken-Verweigerung wie auch melodramatischer Melancholie treu: Happy, das sind die anderen; Prickeln war immer gestern.

Dafür brennt’s immer heute. Das bringt uns zu einer vierten Zeit-Begehrenslogik, die Williams’ body genres hinzuzufügen wäre. Williams schließt Slapstickkomödien aus ihrer Körperkino- Taxonomie aus, weil da die Körper im Bild nicht dasselbe tun wie die Körper vor dem Bild: Die stürzen, wir lachen; da fehlt das protomimetische Band. So ein Band aber zeigt sich, wenn wir Körperkomik etwa im Licht neuerer US-Comedys (Apatow, Sandler, McCarthy …) betrachten: Witze an der Grenze von Wort und Leib, wie sie der Furz markiert oder die ausufernde Fleischfantasieverbalisierung („my Baby Jesus“), werden ostentativ endlos weitergesponnen. Was kommt fürs Publikum heraus? Fürze statt Stürze – und nicht distanziertes Lachen, sondern allzu involvierte Anteilnahme in der Zeiterfahrungsform eines fast gequälten „Wann hört das auf?“. Körpersaft-Emblem der Verendlosigungskomik wäre die Verdauungsausscheidung: Urin, Scheiße, Kotze als Fluida einer Vitalität, deren poetischer Nimbus weniger hehr ist als bei Tränen, Blut und Sperma und das Bild vom Sichanscheißen/-anludeln vor Lachen aufruft.

Schon klar, Brenner-Filme sind nicht Farrelly-Brothers-gross-out; Urin spielt nur in Silentium eine Rolle. Doch die Spitalsszene in Das ewige Leben mit Brenners Leibschüssel und dem Witz, ob er etwa beim Scheißen Polizeischutz braucht, oder die Art, wie Nora von Waldstätten in ihrer Femme-fatale-Szene herzhaft kotzt und dann mehrmals von ihrer „Schpeibe“ die Rede ist: Das trägt bei zu einem bodily Fluidum, das diese stets dem Ekligen zugeneigten Filme der Komödie annähert, dem Genre defizienter physischer Vitalität, die uns ins formund ideenlose Leben runterzieht. Lästig lastende Lebendigkeit: Für deren Nicht-enden-Wollen steht der geradeaus ambivalente Titel Das ewige Leben (Perle im Titelbarock der Brenner- Filme), Herabstufung des spirituell Ewigen zum bloß Endlosen, nach Art von „Dieser ewige Regen!“ (wie er in Graz-Puntigam herrscht). Brenners Überleben des eigenen Suizids könnte ein Horrormotiv sein, ist aber auf Defizienzsatire gepolt – Brenner mit Schwellauge und Stirnbandage im knitterfaltigen Antlitz. Seine sture Weigerung, sich an den Selbstkopfschuss zu erinnern, erinnert an den Tschick, den er sich im ersten Film gleich nach der Befreiung aus dem „Gaswagen“ anraucht, und die Krebsröte, in der die Helden von Silentium halb gekocht den Duschkammern entsteigen: Vitalkomik im Todespanorama. Es herrscht ein Habitus, der den Tod nicht anerkennt; als eine vorgehaltene Pistole Brenner ebendazu zwingt, fleht er: „Wenn wir jetzt wollen, geht alles weiter!“ Ewig.

Das ewige Leben reduziert sich auf den Leib, der leidet oder polternd genießt. Ein Leben nah dem animalischen läuft unbeirrt weiter wie die Animals auf dem Plattenspieler, wenn Brenners Nachbar morgens den Strom aufdreht, oder der Seeigel im Kopf (so beschreibt Brenner seine Migräne). Der Held wird ganz Fleisch, und Fleisch ist verzeitlicht im Zyklus mit prägnanten Wort-Bild-Formen: Brenners Zunge an der Rindszunge beim Rettungskantinenessen; Hendlknochenmehl, das an Hendln verfüttert wird, so kannibalisch wie der Verzehr eines Gulaschs aus zartgekochtem Zuhälter. Kristallin wird der Kreis in Silentium: Von Salzburg nach Wien fahren, schauen, was los ist, dann wieder nach Salzburg, schauen, was da los ist, in Ewigkeit – dieses Lebensziel Brenners wird im Dialog kurzgeschlossen mit dem Ewigkeitszyklus, dem gemäß Leberkäse aus Knackwurstresten gemacht wird und Knackwurst aus Leberkäseresten, in Ewigkeit.

So ins Endlos-Fleisch zu fallen, das macht es sich allzu leicht. Schon klar, das ist Zweck der Komik (wenn auch nicht ihr Sinn), aber: Gut geht anders. Mit der NS-„Anschluss“- und Holocaust-Komödie Mein bester Feind hat Murnberger es sich 2011 so leicht gemacht, dass er den zufallsbedingten Uniform- und „Rollen“-Tausch zwischen einem jüdischen Kunsthändler, nunmehr KZ-Häftling, und seinem einstigen Jugendfreund, nunmehr SS-Karrierist, in einem Tom-&-Jerry-Modus von Körperkomik inszeniert hat, als Endlosserie gegenseitiger Tricksereien und als eine Art von Satire, die das Motiv des Augenzwinkerns strapaziert. Mein bester Feind kennt den Tod (Massenmord) nicht, verkennt das „Verhältnis“ von Nazis und Juden als eines des Hickhacks und der romantischen Verwicklungen, drückt sich um Punkte, die Entscheidung und Anerkennung erzwingen, Punkte vergleichbar dem Grauen der Morde oder der Untröstlichkeit über Verluste in den Brenner-Filmen. (Nicht nur Verhoevens Black Book, auch Der Knochenmann wäre quasi der bessere Holocaust-Genrefilm.)

Der Vitalismus, das Bad in Säften und Endlos-Zeiten des unverwüstlichen Lebens: Was macht, dass die Brenner-Filme darin nicht absaufen? Erstens lässt Brenners lakonisches Taumeln mitten im wuchernden Fleischkreis ein wurschtiges Fleischphlegma beharren, vergleichbar der Art, wie der Detektiv in The Long Goodbye (1972, heute mit Vorbildwirkung nicht nur für Brenner) sich mit der kalifornischen Vitalität rund um ihn spießt: Quietismus als Double/Gegenbild des Vitalismus. Gefragt, wie er funktioniere, meint Brenner in Silentium: „I funktionier einfach ned“; Maritschi attestiert ihm: „Du hast nix falsch g’macht, weil du nie was g’macht hast.“ Vielleicht ist das toll gemessene Timing im Spiel von Hader und Moretti eine Praxisform dieser Zen-Lakonie; ebenso die Wurschtigkeit, mit der es angeht, dass Johannes Silberschneider, in Silentium als Salzburger Polizist zu sehen, nun als Brenners alter Grazer Hausnachbar besetzt ist.

Zweitens Geschichte: Sie bedeutet, dass nicht alles wurscht ist, dass ab und zu etwas passiert (nicht unbedingt „schon wieder was passiert“), dass es Unterbrechung und Abwesenheit gibt. Geschichte insistiert in den Gegenakzenten und Un-Zeiten von Horror und Melo. Zugespitzt erscheint die brennerfilmische Unterscheidung zwischen der Geschichtsgrenze und dem Ewig-endlos-Vitalen in den Frauenfiguren. Die Geschichte sind die Nebenfiguren, die Endlichkeit markieren, zumal im Kontakt von Ösis mit ihren slawischen Doubles bzw. Anderen: In Silentium durch ausgebeutete Asiatinnen verkörpert, kommt „der Osten“ in Der Knochenmann nach Bratislava, in Gestalt von Stipe Erceg ins Gulasch, in Gestalt von Dorka Gryllus (Darstellerin mit markanter Rollenbiografie im Austro-TV-Orientalismus) an die Seite des Wirts (dem die Bratislava-Romanze zum Verhängnis wird). In Das ewige Leben wird „Osten“ programmatisch. Die allerersten Worte im Film fallen zwischen zwei türkischen Rentenantragstellern; der erste Satz der Betreuerin, „Ihnen fehlen die Zeiten“, ist da schon quasi Zu-Satz. Dann sind da die Figurationen diverser Ausprägungen von Anti-Roma-Rassismus der Grazer Polizei; weiters das Melo-Moment – Brenner sagt im Spital, er habe vom Meer in Jugoslawien geträumt, darauf die Pflegerin: „Jugoslawien gibt’s nimmer, das ist zerfallen“ – und veritable Heimsuchung alter Buben durch „männliche“ Frauen (Peniskellnerin), die im letzten Dialog von Aschen/Brenner als Erinnerung an „die jugoslawische Kellnerin mit Oberlippenbart“ beschworen wird. Dazu ein Feuerwerk: „Aus China?“ – „Zagreb.“

Endlichkeit an einer Grenze, die in Österreich rassistisch aufgeladen ist: Weibliche Nebenfiguren markieren sie; der Brenner – sein Name selbst neuralgische Landesgrenze – „lebt“ die Endlichkeit. Den Trost, dieses Leben könnte doch endlose Gegenwart sein, eine Porno- Komödie also, versprechen weibliche Hauptfiguren. Am Ende von Das ewige Leben verläuft sich wie immer ein letzter Dialog im hellen Himmel; hier zwischen Vielleicht-Vater Brenner und der Tochter, die er als seine Neuro-Therapeutin kennengelernt hat. Brenner bietet ihr erst an, ihre Schuld (ihr Kreuz) auf sich zu nehmen, dann, dass er der Therapeut der Therapeutin sein könnte (Endlos-Kreislauf ); zuletzt textet er sie zu mit einer Endlos-Anekdote aus gemeinsamen Jugendjahren mit ihrem offiziellen Vater. Von allen Brenner-Pärchendialogfinale ist hier die kommunikative Harmonie am gezwungensten, die Frau ganz zum Anhören von Bubenwichtigkeit verurteilt. In Komm, süßer Tod, dem Porno unter den Brenner-Filmen, hatte der Sex von Brenner und Rudnik, der glückte, weil beider Körper „komisch“, lädiert und in Bandagen, waren, einen Nachhall am Ende: Brenner erinnert Nina Proll an ihren Teil eines Beistandsdeals, nämlich ihm einen zu blasen, was als Business unter Freunden in Aussicht gestellt wird. Der Knochenmann hatte ein Pärchen-Ende im Melo-Modus; Kommunikation glückte im Konsens übers Nichtglücken: Minichmayr: „Hoffentlich ruafst ned an.“ – Brenner: „Hoffentlich hebst ned ab.“ Am Ende von Silentium ist Brenner baff, als Anne Bennent sich als Kopfwehheilungs- und Fleischkreis-Expertin erweist, die ihm das Wort vom ewigen Knackwurst- Leberkäs-Zyklus aus dem Mund nimmt, sodass er nur „Ah, des wissen Sie?“ sagen kann. So führen die Brenner-Enden vom „Genau jetzt!“ des Pornos zum Phlegma; nicht das Einzige, was sie mit Howard Hawks’ Bogie/Bacall-Krimis teilen. Chronisch lakonisch.

Am Friedhofs-Würstlstand-Ende von Das ewige Leben offeriert Brenner (s)einer Tochter nicht Knack-, sondern Bratwurst mit Bier. Die Tochter ähnelt weniger ihm als ihrer ebenso cat-faced Mutter Maritschi (Margarethe Tiesel) und mehr noch Lauren Bacall. Brenners versuchtes cover-up der Schuld der mordenden Frau ist sehr noir (siehe Laura Mulvey); dass die Kommunikation der beiden zu glücken begann, als sie sich von ihm im Krankenhaushinterhof einen Tschick schnorrte, und in geteilter Wurst mündet, ist sehr Hawks. Eigentlich müsste sie es sein, die Brenner Paroli bietet, indem sie ihm seine bevorzugte Blödsinnsweisheit in Sachen Endlos-Leben/-Stechen/-Brennen vorsagt, vielleicht nicht Wurst-Wissen, sondern „Was you ever bit by a dead bee?“. So macht’s die Bacall am Ende von To Have and Have Not, nicht mit dem Bogie, sondern mit einem, dessen Name und Kauzkomik hier auch gut passen, nämlich Walter Brennan.


© 2004-2024 kolik.film