Michael B. Gillespie
Anmerkungen zu Film Blackness im 21. Jahrhundert
Und der Gewinner ist ... sieht man einmal von dem Bonnie & Clyde-Slapstick ab, dann war der Oscar für den besten Film, den Moonlight bei der Verleihung der Academy Awards zugesprochen bekam, ein bedeutendes Ereignis. Allerdings sagt die Anerkennung bei den Oscars nicht alles über die Signifikanz des Films aus, und auch nicht über dessen gewichtige Beziehung zu den größeren Fragen von Ästhetik, Kultur und Geschichte, die immer schon die Idee von einem schwarzen Film überschattet haben. In Film Blackness: American Cinema and the Idea of Black Film habe ich mich um verschiedene Verständnisse und kritische Beschäftigungen mit der Idee eines schwarzen Films bemüht. Dieser Vorschlag, sich auf andere Weisen auf die Idee eines schwarzen Films einzulassen, kam aus einer Leidenschaft für die Verbindung schwarzer visueller und expressiver Kultur mit der Kunst des Kinos. In dieser Hinsicht ist „film blackness“ der Begriff, den ich verwende, um der Genauigkeit und dem Diskurs der Idee eines schwarzen Films gerecht zu werden. Fred Moten schreibt: „Blackness ist immer eine überraschende Bewegung, eine Unterbrechung der reichhaltigen Nichtfülle eines jeden Begriffs, den es modifiziert. Eine solche Mediation hebt weder die Frage nach der Identität auf noch die Frage nach der Essenz.“ (2003, 255 Fußnote 1). Motens Qualifizierung von Blackness lebt mit voller Absicht von ihrer performativen und vielfach akzentuierenden Eigenheit, indem sie über die Grenzen identitärer Ontologien hinausgeht. Sie zeigt dabei eine aufwühlende und klärende Kraft. Sie ist die Potentialität und Irreduzibilität von Blackness, ein Verständnis davon als Prozess und Idee. Film Blackness markiert, belebt und berichtigt die Idee von schwarzem Film als einer immer disruptiven Überraschung, die neue Paradigmen für Genre, Narrativ, Ästhetik, Historiographie, Visualität und Intertextualität bereitstellen kann. Film Blackness lässt die Weisen verstehen, in denen Kino als eine visuelle Verhandlung, als eine Spannung zwischen Film als Kunst und Rasse als einer konstitutiven kulturellen Fiktion operiert. Der konzeptuelle Begriff betont den irreduziblen Charakter der Blackness und das radikale Vermögen schwarzer visueller und expressiver Kultur, ein Unterschied, der sich immer wieder neu bildet und umformiert.
Wenn Blackness immer schon eine Anregung, eine Frage und ein Prozess ist, dann ist das methodologische Ziel von Film Blackness nicht die Anschauung eines unbelebten Systems, denn Film Blackness geht es darum, die Potentialitäten des Kinos und seiner vielen konstitutiven Faktoren als weder eine immanente Kategorie noch als ein Genre, noch bloß als die mimetische Bekräftigung der schwarzen Erfahrung zu erkennen.
Film Blackness rechnet unweigerlich damit, wie die Idee eines schwarzen Films als eines Enactments schwarzer visueller und expressiver Kultur genaue und einfallsreiche Inszenierungen der Kunst von Blackness und der Diskursivität von Rasse hervorbringt. Zudem besteht Film Blackness darauf, dass diese Inszenierungen auf ihre künstlerischen und epistemologischen Konsequenzen hin gelesen werden, in dem Sinn, dass sie verstehen helfen, wie die Idee eines schwarzen Films durch Entscheidungen bestimmt wird: Historiographie vor Geschichte, Performativität gegenüber essentieller Identität, Kultur gegen Fantasien von verkörperter Wahrheit. Jeder Film entwirft also etwas anderes als ein identitäres Absolutes, jeder Film führt stillschweigend eine diskursive Neubewertung von Bildern und ästhetische Entscheidungen durch, die Spekulationen und Remediationen von Geschichte und Kultur repräsentieren.
Schwarzer Film ist immer eine Frage und niemals eine Antwort. Das erfordert, dass wir uns schwarzen Film so vor Augen führen, dass es dabei nicht nur darum geht, wie Kino sozialer Wahrheit Genüge tut oder auf sie hinweist oder sie versinnbildlicht. Es erfordert Aufmerksamkeit auf das Kino als eine Kunstpraxis, in deren Zusammenhang man um Fragen von Form und Politik nicht herumkommt. Meine Arbeit verzichtet vorläufig auf die Idee eines schwarzen Films, indem sie auf ein umfassenderes Verständnis von Blackness und Kino dringt. Was meinen wir, wenn wir sagen: schwarzer Film? Schwarze Regisseure, Schauspieler, schwarzen Inhalt? Charles Burnett statt Jim Jarmusch? Within Our Gates (Oscar Micheaux, 1920) und nicht George Washington (David Gordon Green, 2000)? Ist Soul Plane (Jessy Torero, 2004) „schwärzer“ als Ganja & Hess (Bill Gunn, 1973)? Was verspricht die Bezeichnung black film? Und was macht sie unmöglich? Film Blackness ist ein Versuch, die Werte neu zu akzentuieren, die man schwarzem Film zuschreibt, und die aus den reichhaltigen Übergängen zwischen Filmkunst und schwarzer Diskursivität entstehen. Unsere Ambition muss stärker in Richtung eines schwarzen Films als einer kritischen Möglichkeit und nicht als einer handelnden Autorität gehen. Wie wäre das, wenn schwarzer Film etwas anderes als verkörpert sein könnte? Wenn schwarzer Film immateriell und körperlos wäre? Wenn er spekulativ sein könnte oder bloß ambivalent? Was, wenn Film eigentlich das schlimmste vorstellbare Fenster ist und noch ein schlechterer Spiegel? Was, wenn schwarzer Film Kunst oder schöpferische Interpretation wäre und nicht bloß die visuelle Transkription schwarzer Lebenswelt?
Ausprägungen von Film Blackness im frühen 21. Jahrhundert haben Kulturgeschichte als visuelle Historiographien und Remediationen neu belebt: The Order of Myths (2008) von Margaret Brown, Night Catches Us (2010) von Tanya Hamilton, Infiltrating Hollywood: The Rise and Fall of the Spook Who Sat by the Door (2011) von Christine Acham und Cliff Ward, 12 Years a Slave (2013) von Steve McQueen, The New Black (2013) von Yoruba Richen, Selma (2014) von Ava DuVernay, Jason and Shirley (2015) von Stephen Winter, Love is the Message, The Message is Death (2016) von Arthur Jafa. Und sie haben verblüffende, alternative Narrative von schwarzer Performativität und Entwicklung geboten: Stranger Inside (2001) von Cheryl Dune, Passing Strange: The Movie (2009) von Spike Lee, Precious (2009) von Lee Daniels, Mississippi Damned (2009) von Tina Mabry, Pariah (2011) von Dee Ree, Hunter Gatherer (2015) von Josh Locy, Dope (2015) von Rick Famuyiwa, und The Fits (2015) von Anna Rose Holmer. Darüberhinaus gehören George Washington (2000) von David Gordon Green, Ballast (2008) von Lance Hammer und Beasts of the Southern Wild (2012) von Benh Zeitlin zu einer Gruppe von Filmen, die eine wohlwollende Aufmerksamkeit auf Blackness, Melancholie und den filmischen Süden gemeinsam haben, die auf weitere Möglichkeiten verweist, wie man über Film Blackness in Hinsicht auf die materiellen und symbolischen Spuren nachdenken könnten, die einen filmischen Ort ausmachen.Weiters gab es bemerkenswerte formale Experimente mit schwarzer Ruhe und Temporalität: die elliptische Struktur und exquisite Animation in An Oversimplification of Her Beauty (Terence Nance, 2013), die nichtklassischen Musikvideos/Kurzfilme für Shabazz Palaces, Flying Lotus, Kendrick Lamarr und Sampha von Khalil Joseph; und Middle of Nowhere (2012) von Ava DuVernay mit seiner Betonung von Sehnsucht und der alltäglichen Diffusion eines neuen Jim Crow und der Zeit in der Haft.
Um zu Moonlight zurückzukehren: Das ist ein überwältigender Film, an dem man sehr gut ersehen kann, dass Film Blackness signalisiert, wie sehr es darauf ankommt, dass Blackness und filmische Form als Zusammenhang gesehen und nicht auseinandergehalten werden. Die grausame Geschichte einer Jugend organisiert sich in Ruhe und beschwört ein schwarzes Werden durch die akzentuierten Blickwinkel von Überlebenden, schwarzen Maskulinitäten und queeren Sehnsüchten.2Moonlight arbeitet mit einer ausgeprägten ästhetischen Palette und intertextuellen Verve, die ein generatives Maß an Ideen von schwarzem Film erforderlich macht. Soziale Kategorien des Seins reichen dafür nicht allein aus. Wie ich oben kurz umrissen habe, hat die Idee von Black in diesem Jahrhundert viele Ebenen des Experiments und der Innovation durchlaufen. Einige der künftigen Arbeiten werden dementsprechend die Position von Moonlight in einer stetig zunehmenden Komplikation schwarzen Films würdigen. Die Arbeit, die vor uns liegt, muss offen sein für künftige Ausprägungen und zugleich das Momentum der Vergangenheit anerkennen.